Alkoholkrankheit bei Gießereimitarbeitern

GP 07/2018

Die körperlich harte Tätigkeit in Gießereien, der Staub und die Hitze erfordern regelmäßiges Trinken. Das zur Durstlöschung Bier konsumiert wurde, vor allem nach der Arbeitszeit noch gemeinsam getrunken wurde, war in der Vergangenheit eher die Regel als die Ausnahme. Hier erfolgte längst ein grundsätzlicher Wandel. Allerdings gibt es auch keinen Grund anzunehmen, dass Gießereimitarbeiter mehr oder weniger als der Bevölkerungsdurchschnitt von Alkoholkrankheiten betroffen sind. Eine Auseinandersetzung mit dem Thema ist deshalb auch für Gießereiverantwortliche geboten. Zwar kennt fast jeder jemanden der einen Suchtkranken kennt, im unmittelbaren Umfeld wird Sucht jedoch kaum wahrgenommen. Dabei sprechen die Zahlen einen eindeutige Sprache: Laut einer Pressemitteilung zum Jahrbuch Sucht 2017 der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragene. V. (DHS) lag der Pro-Kopf-Konsum der 15- bis 65-Jährigen in Deutschland im Jahr 2015 bei 14,6 Litern Reinalkohol. In Deutschland sind laut DHS innerhalb der letzten zwölf Monate insgesamt 3,38 Mio.Erwachsene sogar von einer alkoholbezogenen Störung betroffen (Missbrauch:1,61 Mio.; Abhängigkeit: 1,77 Mio.). Was ist Sucht? In der Alltagssprache wird der Begriff „Sucht“ häufig missverstanden und falsch verwendet. Internationale Klassifikationssysteme (ICD-10 der WHO) unterscheiden zwischen der akuten Intoxikation (akuter Rausch), dem schädlichen Gebrauch und dem Abhängigkeitssyndrom (Sucht). Eine Abhängigkeit liegt vor, wenn mehr als zwei der folgenden Punkte im Zeitraum eines Jahres gleichzeitig vorlagen: 1. Starker Wunsch oder Zwang zum Konsum. 2. Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich Beginn, Beendigung und Menge des Konsums. 3. Körperliche und psychische Entzugserscheinungen bei Absetzen oder Reduktion des Konsums. 4. Toleranzentwicklung – es müssen immer mehr Mengen konsumiert werden, um die gewünschte Wirkung zu erzeugen. 5. Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zugunsten des Konsums und erhöhte rZeitaufwand zur Beschaff ung bzw. zur Erholung von den Folgen des Konsums. 6. Anhaltender Substanzkonsum trotz des Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen (z. B. Leistungsabfall, Arbeitsplatzverlust, körperliche Folgeschäden, depressive Verstimmungen). Eine Abhängigkeit entsteht nicht durch einmaligen (oder gelegentlichen) Konsum, sondern entwickelt sich in einem Prozess, wobei die Übergänge zwischenriskantem, schädigendem und abhängigem Alkoholkonsum fließend sind. Im alltäglichen Umgang mit Arbeitskollegen oder Mitarbeitern stellt sich weniger die Frage, ob die Diagnose „Sucht“ gerechtfertigt ist, als vielmehr ob der Umgang mit Alkohol verantwortungsbewusst ist oder nicht. Die folgende Tabelle stellt die Unterschiede zwischen verantwortungsvollem und unangemessenem Konsumgegenüber. Die folgenden Schritte sind im Falle einer möglichen Alkoholkrankheit durch den Vorgesetzten zu unternehmen, um sowohl dem Betroffenen zu helfen als auch Schaden von der Gießerei abzuwenden.

Einschätzen der Situation als „Eingreifen erforderlich“

Nachdem der Konsum alkoholischer Getränke in Gießereien weitgehend verboten und verpönt ist, gelingt es Alkoholkranken dennoch, nicht beim Trinkener tappt zu werden, auch die übliche „Fahne“ ist kaum festzustellen.

Allerdings lässt sich eine Alkoholkrankheit selten dauerhaft verbergen. Ein aufmerksamer Dritter wird dies bei alltäglichen Handlungen, aber auch bei der Arbeitsleistung feststellen, Bild 1 zeigt typische Auffälligkeiten.

Um festzustellen, ob es sich um einmalige Vorfälle oder eine regelmäßiges Vorkommen handelt, hilft es eine Strichliste zu führen. Darauf werden nur die Tagefestgehalten, an denen tatsächlich eine Begegnung und ein Austausch erfolgt, auf dessen Grundlage die Leistungsfähigkeit des Mitarbeiters beurteilt wird.

Vermeidung von Co-Verhalten

Das intensive Miteinander in Gießereien vereinfacht den Umgang mit einem betroffenen Kollegen bzw. Mitarbeiter nicht. Das liegt zum einen daran, dass jede einzelne Situation sich irgendwie rechtfertigen lässt, das Argument den sprichwörtlichen „Einen über den Durst“ getrunken zu haben, ist Allgemeingut. Allzu gerne schenkt man dieser Aussage Glauben.

Zum anderen stellt man, häufig aus Gründender Unsicherheit oder vermeintlichen Fairness, die eigene Beurteilung der Situation, der Arbeitsleistung und der beobachteten Auffälligkeiten in Frage.

Nicht selten decken weitere Mitarbeiter ihren suchtkranken Kollegen aus falsch verstandener Loyalität. Erscheint der Gießereileiter am Arbeitsplatz, erledigt der Betroffene unaufschiebbare Aufgaben, womit eine persönliche Begegnung vermieden wird. In diesen Situationen geschieht so genanntes Co-Verhalten, welches in bester Absicht erfolgt, jedoch das problematische Konsumverhalten des Betroffenen begünstigt und stabilisiert und damit die Motivation verzögert, aktiv etwas gegen das eigene Problemverhalten zu unternehmen.

Die gut gemeinten Gründe führen in verschiedenen Phasen zur Leugnung oder Vertuschung von Fehlern. Hilfsangebote beziehen sich auf die Arbeitsaufgabe, sodass unerfüllte Aufgaben oder Rückstände durch die Kollegen „ausgebügelt“ werden. Es herrscht die Überzeugung, man bekomme das Problem gemeinsam in den Griff.

Verantwortung übernehmen

Ein frühzeitiges Handeln – schon in der Phase des riskanten, unangemessenen Konsums – ist auch notwendig, um arbeitsrechtliche Konsequenzen, die das Co-Verhalten auslösen, zu vermeiden.

Dabei ist eine konsequente Einstellungvon nöten, die auf der Einsicht basiert: Mein Mitarbeiter/Kollege hat ein Alkoholproblem, er benötigt Hilfe.

Wer Personalverantwortung trägt ist im Falle einer Alkoholkrankheit für das Eingreifen verantwortlich. Besser zu früh als zu spät ist das Gespräch zu suchen, in dem die"KLARe" Haltung kommuniziert wird. Das"KLAR-Modell" in Bild 2 gibt Hinweise aufein erfolgreiches erstes Gespräch. In einem vertraulichen, persönlichen Gespräch sind die festgestellten Auswirkungen neutral, eindeutig und konsequent anzusprechen.

Den Abschluss muss eine Vereinbarung bilden und mögliche Missverständnisse sind auszuräumen. Dabei kann sich durchaus gegenseitig Sympathie und die Hoffnung auf eine weitere dauerhafte Zusammenarbeit ausgedrückt werden, aber auch das Aufzeigen möglicher Konsequenzen sollte nicht fehlen.

<p><strong>Arbeitsschutz berücksichtigen</strong></p>
<p>Alkoholismus zerstört beruflich wie privat Existenzen. Je eher eingegriffen wird umso besser für den Betroffenen. Dementsprechend verpflichtet das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) den Arbeitgeber zu Maßnahmen des Arbeitsschutzes, um die Sicherheit und Gesundheit des Beschäftigten zu schützen und eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheit anzustreben (§3 ArbSchG). </p>
<p>Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren müssen ermittelt werden (§5 ArbSchG). Zusätzlich muss in Betrieben mit mehr als zehn Beschäftigten der Arbeitgeber (je nach Art der Tätigkeit und Zahl der Beschäftigten) über Dokumentationen verfügen, die das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung, der getroffenen Maßnahmen des Arbeitsschutzes und das Ergebnis ihrer Überprüfung belegen (§6 ArbSchG).</p>
<p>Bei einem offensichtlichen Alkoholstand ist die Ausführung der Arbeit nicht möglich. Oft geht von der Benutzung von Maschinen und Fahrzeugen eine noch größere Gefahr für den Betroffenen und seine Umwelt aus. Unabhängig davon, ob es sich um Fahrten mit Firmenfahrzeugen für das Unternehmen oder die private Fahrt nach Hause handelt, ist unmittelbares Eingreifen unabdingbar. Hier kommt der oft altmodisch erscheinende Begriffder „Fürsorgepflicht“ zum Tragen.Das Handeln an dieser Stelle ist durch die Berufsgenossenschaftlichen Vorschriften (BGV), die Unfallverhütungsvorschrift DGUV, das Sozial-Gesetzbuch VII und durch das Strafgesetzbuch (StGB) geregelt. Die BGV verbietet zum einen Versicherten (also auch dem Arbeitnehmer), sich durch den Konsum von Alkohol, Drogen und Medikamenten in einen Zustand zu versetzen, durch den sie sich selbst oder andere gefährden (§15 DGUV A2).</p>
<p>Unter Einnahme von diesen Substanzen dürfen demnach Tätigkeiten, wie das Führen von Fahrzeugen oder selbstfahrenden Arbeitsmaschinen, Elektroarbeiten, Arbeiten mit Absturzgefahr oder Wartungsarbeiten nicht ausgeführt werden. In diesem Sinne greift die BGV auch in das Privatleben und zwar dann, wenn der Alkoholkonsum zwar in der Freizeit statt stattgefunden hat, sich aber auf die Arbeit auswirkt. Dementsprechend gilt es die Wirkzeit des Alkohols (Restalkohol) zu beachten. Zum anderen dürfen Unternehmer Arbeitnehmer, die erkennbar nicht in der Lage sind, eine Arbeit ohne Gefahr für sich oder andere auszuführen, nicht beschäftigen (§7 BGV A1; §7 Unfallverhütungsvorschrift Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung).</p>
<p>Daraus ergibt sich die Pflicht für den Unternehmer (den Vorgesetzten), den Beschäftigten bei riskantem Alkoholkonsum aus dem Gefahrenbereich zu entfernen. Zusätzlich ergibt sich eine Handlungspflicht aus §323 c StGB (unterlassene Hilfeleistung), wenn sich der Arbeitnehmerin einer hilflosen Lage befindet, also z. B. nach einer Betriebsfeier aufgrund übermäßigen Alkoholkonsums nicht in der Lage ist, seinen Heimweg eigenständig anzutreten. Steht also ein Kollege oder Mitarbeiter unter akutem Alkoholeinfluss, so darf er die u. a. oben aufgeführten Tätigkeiten nicht verrichten. Im Zweifelsfall sollte der betroffenen Person die Fahrzeugschlüssel abgenommen, ein Taxi gerufen bzw. die Person aktiv nach Hause begleitet werden. Der Arbeitgeber hat in diesen Fällen für einen gefahrlosen Heimweg zu sorgen, die Kosten trägt jedoch der Beschäftigte. Leistet der alkoholisierte Beschäftigte Widerstand, so ist die Polizei zur Hilfe zu rufen.Alkoholtests im Zuge eines Einstellungsverfahrensoder in bestehenden Arbeitsverhältnissen dürfen nur dann durchgeführt werden, wenn objektive Anhaltspunkte für einen begründeten Verdacht vorliegen, eine routinemäßige Untersuchung (z. B. Blutuntersuchung) ist nicht zulässig. </p>
<p>In jedem Fall ist die Teilnahme an der Untersuchung freiwillig, der Betroffene muss über den Untersuchungsumfang (z. B. dass sein Blut auf Alkohol oder sein Urin auf Drogen untersucht wird) aufgeklärt werden. Eine Anordnung zu solchen Tests kann nur eine Strafverfolgungsbehörde abgeben.</p>

Weiteres Vorgehen

Grundlage des weiteren Vorgehens ist das konsequente Verfolgen einer klaren Linie, wobei die einzelnen Maßnahmen schriftlich zu dokumentieren sind. Alkoholismus ist eine Krankheit, die der Heilung bedarf. Die wenigsten Betroffenen können aus eigenem Entschluss mit dem Trinken aufhören und aus dem Stand heraus wieder die ursprüngliche Arbeitsleistung erbringen. Oft sind langfristige Rehabilitationsmaßnahmen unabdingbar, die von den Krankenkassen und v.a. von den Rentenversicherungsträgern übernommen werden. Die Deutsche Rentenversicherung bewilligte im Jahr 2016 insgesamt knapp 57 500 Entwöhnungsbehandlungen, davon entfielen fast 64 % der stationären und fast 80 % der ambulanten bewilligten Entwöhnungsbehandlungen auf die Indikation Alkoholabhängigkeit (Drogen- und Suchtbericht 2017 der Drogen beauftragten der Bundesregierung). Für Gießereien sind hier die Vorgaben des betrieblichen Eingliederungsmanagements nach §84,2 SGB IX zu beachten, das dann Anwendung findet, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholtarbeits unfähig sind.Doch schon bevor es evtl. soweit kommen muss, können betriebsintern Interventionsgespräche im Rahmen der betrieblichen Suchtprävention und Suchthilfe geführt werden.

Diese Gespräche sollten stufenweise aufeinander aufbauen. Während das Gespräch auf Stufe 1 im persönlichen Rahmen zwischen dem Vorgesetzten und dem betroffenen Mitarbeiter stattfinden sollte mit dem Ziel, die Chance für ein frühzeitiges Korrigierendes Fehlverhaltens einzuräumen, werden bei wiederholten Vorfällen die Personalabteilung, der Betriebsrat und Suchtbeauftragte hinzugeholt.

Existieren solche betrieblichen Strukturen nicht, so kann auf externe Hilfe zurückgegriffen werden (siehe unten).

Das Ziel der weiteren Gespräche muss sein, den Betroffenen mit den Auffälligkeiten konsequent zu konfrontieren, konkrete Hinweise und Aufforderungen der Hilfe und Therapie zu geben und dem Betroffenen klarzumachen, dass er seinen Arbeitsplatz gefährdet. Als Konsequenz wird auf der letzten Stufe der Interventionsgespräche deutlich vermittelt, dass der Betroffene seinen Arbeitsplatz nur dann erhalten kann, wenn er sich unmittelbar in Therapie begibt. Abmahnungen sind dann zulässig, wenn objektive Verletzungen der Vertragspflichten vorliegen, z. B. bei der Verletzung von Melde oder Nachweispflichten im Zuge der Arbeitsunfähigkeit.

Kündigungen können, unter der Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen, sowohl verhaltensbedingt als auch krankheitsbedingt erfolgen. Gerade mittelständischen Gießereien sei empfohlen, für die Suchtprävention und Suchthilfe auf die Unterstützung von Experten und Netzwerke zurückzugreifen.

Dies kann entweder durch den Kontakt zu örtlichen Beratungsstellen, durch die Kooperation mit anderen Betrieben oder in Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern geschehen.

Ausführliche Informationen über die Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit externen Stellen bietet beispielsweise die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS) (http://www.sucht-am-arbeitsplatz.de/themen/beratung-und-hilfe/externe-beratung/).


Die DHS bietet zudem eine Datenbank der Suchtberatungsstellen, Hilfeeinrichtungen und Selbsthilfe-gruppen (http://www.dhs.de/einrichtungssuche.html).

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