Bauteilereinigung: Junge Disziplin mit Zukunft

GP 11/2019
Oberflächen-, Nach- und Wärmebehandlung
Oberflächenbehandlung
Putzen
Bewegung auf allen Kanälen: Der Wandel der Automobilindustrie, neue Fertigungstechnologien und Formstoffe sowie die Digitalisierung. All diese Gebiete berühren auch die Bauteilereinigung − sie kann Unternehmen dabei unterstützen, sich für die Märkte der Zukunft zu wappnen.

Die Disziplin der Bauteilereinigung ist vergleichsweise jung: Bis vor etwas mehr als 20 Jahren war Bauteilsauberkeit ein Thema, das nur wenige Branchen wie beispielsweise die Halbleiterindustrie beschäftigte. Treibende Kraft für eine breite Bedeutung war und ist die Automobilindustrie.

Innovationen wie beispielsweise die Common-Rail-Technologie und Pumpe-Düse-Systeme, mit denen bei höherer Leistung Verbrauch und Emissionen reduziert werden konnten, haben Ende der 1990er Jahre dazu geführt, dass eine Vielzahl von Komponenten des Antriebsstrangs mit Sauberkeitsvorgaben belegt wurden. Hinzu kamen sicherheitsrelevante Bauteile, unter anderem für Bremsassistenzsysteme wie ABS oder ESR, Airbags und Lenkung.
Was als Aufgabenstellung weniger Unternehmen begann, wurde etwa ab 2000 zu einem Thema für viele: Partikelschmutz in Bauteilen, der Fehlfunktionen oder einen Ausfall kompletter Baugruppen beziehungsweise Systeme im Automobil verursachen kann. Diese Sauberkeitsgrenzwerte, oder salopp „Restschmutz“ genannt, wurden in das Qualitätswesen eingebunden, was zur Entwicklung der ersten automatisierten Mikroskopsysteme für die Partikelanalyse führte.

Um die Vergleichbarkeit der Ergebnisse sicherzustellen, entstand mit der VDA Band 19, Teil 1 beziehungsweise dem internationalen Pendant IS0 16232 im Jahr 2005 eine Richtlinie für die Durchführung von Sauberkeitsanalysen, deren zweite, überarbeitete Auflage 2015 erschien. Dieses Standardwerk ist als Basis für die Kommunikation zur partikulären Sauberkeit zwischen Kunde und Lieferant etabliert − nicht mehr nur in der Automobil- und Zulieferindustrie, sondern in vielen weiteren Branchen.

Weil in allen Bereichen der Industrie die Bedeutung der technischen Sauberkeit stark wächst und infolgedessen der Bedarf an Information und Lösungen groß ist, wurde die bis heute weltweit einzige Fachmesse für industrielle Teile- und Oberflächenreinigung parts2clean gegründet, deren aktuelle Ausgabe vom 22. bis 24. Oktober 2019 in Stuttgart stattfand, die nächste parts2clean wird vom 27. bis 29. Oktober 2020 veranstaltet.

Versunsicherung: Märkte und Branchen im Wandel

Die weltweite Kernbranche für industrielle Reinigungstechnik ist die Automobilindustrie, die aktuell vor einem Bündel an Problemen steht: Dazu zählen unter anderem die Feinstaub- und Stickstoffdebatte, die Unsicherheit und Richtungslosigkeit hinsichtlich des Antriebs der Zukunft, dem Abrücken von der Strategie der Technologieoffenheit und damit der Aufgabe einer der Kernkompetenzen, nämlich einer hochentwickelten Verbrennungsmotorentechnologie. Auch der Rückgang der individuellen Mobilität, Trends wie das autonome Fahren, die Elektromobilität und neue Fertigungstechnologien spielen eine Rolle.

In den USA erweist sich der Automobilmarkt als vergleichsweise stabil. Europäische und asiatische Anbieter sind hier mit eigenen Produktionsstandorten vertreten. Hier spielt die technische Sauberkeit eine deutlich größere Rolle als bei US-amerikanischen Herstellern, durch die dieser Markt geprägt ist. Auf den so genannten Emgerging Markets wird die technische Sauberkeit zunehmend ein Thema, sodass sich die Anforderungen denen in Europa annähern. Zu den Branchen, die nach wie vor wachsen, zählen beispielsweise die Medizintechnik, die Halbleiterzuliefer- und Elektronikindustrie, die optische Industrie, die Sensor- und Mikrotechnik sowie die Beschichtungsindustrie. In diesen Industriebereichen ergeben sich für fertigenden Unternehmen neue Chance, die aber auch mit veränderten Aufgabenstellungen bei der Bauteilreinigungen einhergehen. Dabei ist der Grundsatz, dass generell das partikelempfindlichste Bauteil die Sauberkeitsvorgabe definiert, nicht mehr einsetzbar. Deutlich wird dies unter anderem bei mechatronischen Systemen, die beispielsweise aus einem spanend hergestellten Werkstück und elektronischen sowie sensorischen Bauteilen bestehen. Die Sauberkeitsanforderungen an die elektronischen und sensorischen Komponenten sind häufig höher oder auch andersartig als die des mechanischen Werkstücks.

Kennzeichnend sind dabei Vorgaben an die partikuläre Sauberkeit von einem Mikrometer und darunter, sowie strengste Spezifikationen hinsichtlich filmisch-chemischer Oberflächenkontaminationen. Branchen- und teilespezifisch kommen Ausgasungsgrenzwerte von flüchtigen, organischen und anorganischen Verunreinigungen im Atomprozentbereich als Sauberkeitskriterium hinzu. In der Automobilindustrie sind es Komponenten, beispielsweise für die Elektrifizierung des Antriebsstrangs und von Lösungen für Fahrerassistenzsysteme bis hin zum autonomen Fahren, die neue und höhere Anforderungen an die Bauteilsauberkeit stellen. Dabei rücken filmische Verunreinigungen ebenfalls stärker in den Fokus.

An Signifikanz gewinnen die teilweise extrem dünnen Schichten aus Herstellungs- und Bearbeitungsprozessen auch durch veränderte Fügeprozesse. So werden beispielsweise aus Leichtmetallen hergestellte Komponenten deutlich häufiger verklebt und lasergeschweißt als geschraubt, was zumindest in diesen Bereichen eine entsprechend vorbehandelte Oberfläche erfordert. Nachfolgende Prozesse stellen bei der zunehmenden Anzahl von Bauteilen aus Kunststoffen ebenfalls höhere Anforderungen an die filmische Sauberkeit.

Diese Entwicklungen zeigen, dass die Bauteilreinigung nicht mehr isoliert betrachtet werden kann. Unabhängig vom Werkstück und Einsatzbereich, um hohe spezifische Anforderungen an die Bauteilsauberkeit stabil zu erfüllen, ist ein adäquater Eingangszustand der Bauteile erforderlich. Dies beinhaltet unter anderem Güte und Sauberkeit der vorgelagerten Bearbeitungsschritte, das Oberflächenfinish und die Entgratqualität. Bei Zerspanungs-, Umform- und Oberflächenveredelungsprozessen kann Organik in Innenradien eingearbeitet werden oder es kann beispielsweise durch Strahlprozesse zu einem Eintrag fremder Anorganik kommen. Darüber hinaus sind definierte Umgebungs- und Handlingsbedingungen wichtig.

Nasschemische Prozesse sind insbesondere bei der Reinigung in der metallbe- und verarbeitenden Industrie, Optik, Medizintechnik und weiteren Branchen nach wie vor die am häufigsten eingesetzten Technologien und werden es vermutlich auch zukünftig bleiben. Bei der Entwicklung neuer und Optimierung bestehender Reinigungs- und Trocknungsverfahren werden auch Prozesse entwickelt, die Entgraten, Reinigen und Trocknen kombinieren.

 

Digitalisierung nasschemischer Reinigungsprozesse

Für die Steuerung und Überwachung nasschemischer Reinigungsanlagen sowie für eine effektive Produktionsplanung und -koordination gibt es App- und Cloudlösungen. Die in der Anlagensteuerung gesammelten Daten werden gespeichert, ausgewertet und intelligent verknüpft.

Daraus lassen sich verschiedene automatische Steuerungen für Operationen wie Reiniger- und Abluftmanagement sowie Trocknersteuerung ableiten und Vorhersagen zur noch verfügbaren Standzeit von Anlagenkomponenten. Darüber hinaus werden auch Berechnungen so genannter Key Performance Indikatoren (KPI) beziehungsweise von Leistungskennzahlen wie beispielsweise der Overall Equipment Effectivness (OEE) bereitgestellt. Aufgrund dieser Kennzahl kann unter anderem beurteilt werden, ob mit der Anlage ein höheres Reinigungsaufkommen abgedeckt werden kann. Die Kombination mit Augmented Reality (AR) ermöglicht die schnelle und ortsunabhänige Unterstützung bei Wartungs- und Reparaturarbeiten.