Nachfolgend veröffentlicht die GIESSEREI PRAXIS den Bericht von Herrn Prof. Dr.-Ing. Lothar H. Kallien, Hochschule Aalen / Fakultät Werkstofftechnik und Maschinenbau, zum diesjährigen Aalener Gießereikolloquium.
Am diesjährigen Aalener Gießereikolloquium, das von der Gießerei Technologie Aalen Gießereitechnik Aalen unter der Leitung von Prof. Lothar Kallien organisiert wurde, nahmen mehr als 240 angereiste Vertreter der Gießereibranche teil. Dazu stellten 22 Firmen ihre Produkte und Innovationen in einer Table Top Ausstellung vor.
Einleitend in die erste Vortragssession begrüßte Prof. Harald Riegel, Rektor der Hochschule Aalen, die Teilnehmer aus Industrie und Forschung. Im Anschluss stellte Prof. Lothar Kallien unter dem Motto „Forschungsstarke Hochschule“ die Spitzenplatzierung im deutschlandweiten Hochschulranking vor. Im DFG Förderatlas erreicht die Hochschule Aalen deutschlandweit den ersten Platz im Bereich Forschung.
Hochkarätige Sprecher von BMW und Volkswagen
Die erste Vortragssession begannen Dipl.-Ing. Klaus Sammer und Dr. Thomas Kopp von der BMW AG aus Landshut mit dem Thema „Intelligenter Leichtbau durch Einsatz von Gusskomponenten“. Unter dem Motto „Das richtige Material am richtigen Ort“ wurde anhand eines Bauteils gezeigt, dass hohe Wandstärken, die zur Formfüllung benötigt werden, kontraproduktiv für crashrelevante Großgussbauteile sind. Durch das Fügen eines Blechs in diesen Bereichen kann das Leichtbaupotential bestmöglich ausgeschöpft und der Fahrzeugrahmen auf einer vorhandenen Druckgießanlage hergestellt werden. Mit Hilfe von gedruckten Sandkernen zeigten die Sprecher der BMW AG, dass sich der zentrale elektrische Antriebsstrang, der Drehmomente bis 760 Nm aufnimmt, als „Singlepiece“ im Injektor-Casting herstellen lässt. Dies ermöglicht funktional hochintegrale Leichtbauteile für die E-Mobilität mit höchster Festigkeit.
Dipl.-Ing. Mirco Wöllenstein, Gießereileiter bei der Volkswagen AG in Kassel, referierte über „Neue Entwicklungen und neue Herausforderungen bei Volkswagen“. Die gesamte Gießereiindustrie ist mit Risiken wie multiplen Krisen, Wettbewerbsdruck und Fachkräftemangel konfrontiert. Gleichzeitig ergeben sich neue Chancen in Zeiten der Transformation durch innovative Produkte und Prozesse sowie Hochleistungsteams und Digitalisierung. Die Herstellung von Großgussteilen auf bestehenden Druckgießanlagen für den Karosseriebau ermöglicht die Substitution von Baugruppen aus zahlreichen Einzelteilen. Unter der Berücksichtigung innovativer Prozesstechnologien lassen sich das Bauteilgewicht, die Kosten und Durchlaufzeiten im Fahrzeugbau reduzieren. Umwelttechnische Aspekte werden in der Gießerei Kassel mit einer „goTOzero-Strategie“ angegangen. Der Einsatz von Sekundäraluminium sowie grünem Wasserstoff im Umschmelzwerk aus dem bislang größten in Bau befindlichen Elektrolyseur werden in den kommenden Jahren einen großen Beitrag zur Reduzierung des CO2-Footprint bei der Herstellung von Produkten leisten.
Handtmann und Hochschule Aalen forschen gemeinsam
Im Anschluss referierten Dr. Katharina Faerber und Dipl.-Ing. Denis Hopp der Firma Handtmann über das Thema „Legierungen und Nachhaltigkeit: Innovation im Druckguss“. Ziel ist es bis 2039 klimaneutral zu produzieren. Den höchsten Einfluss haben Primär-Aluminiumlegierungen mit 6,8 kg CO2 pro kg (EU-Durchschnitt) für die Herstellung von Struktur- und Fahrwerksbauteilen. Durch den Einsatz von Sekundäraluminium mit einem Recyclinganteil von 90 % kann der CO2-Footprint auf unter 1 kg CO2 pro kg Aluminium gesenkt werden.
Dr. Katharina Faerber und Dipl.-Ing. Denis Hopp stellten ein gemeinsames Forschungsprojekt mit der Hochschule Aalen vor, in dem Legierungen mit erhöhtem Rezyklatanteil untersucht werden. Ein weiterer Ansatz für die Dekarbonisierung bei Fa. Handtmann ist der Leichtbau. Dies erfordert Topologie- und Strukturoptimierung der Bauteile und somit die intensive Zusammenarbeit mit den OEMs. Für eine wirtschaftliche Nachhaltigkeit müssen die Megatrends und deren Einfluss auf die Gießereibranche bekannt sein. Relevante Trends für die Firma Handtmann sind Globalisierung, E-Mobilität, Dekarbonisierung und künstliche Intelligenz. Die Herausforderung dabei ist, auf die richtige Technologie zu setzen, um in Zukunft eine langfristige Sicherung und Stärkung der Marktposition zu sichern.
Innovative Konzepte im Druckguss
Ein innovatives Werkzeugkonzept stellte Dipl.-Ing. Roberto Trevisan von der Firma Vetimec mit dem Thema „TANDEM-Gießen von Strukturbauteilen im Druckguss: ein konkretes Beispiel“ vor. Zur Herstellung von Strukturbauteilen wird eine sehr hohe Zuhaltekraft benötigt, um die hohen Gießdrücke bei großflächigen Druckgussbauteilen zu kompensieren. Ein neuer Ansatz der Firma Vetimec zeigt, dass zwei Bauteile auf einer Maschine gleichzeitig hergestellt werden können. Die Zuhaltekraft verdoppelt sich dabei nicht. In dem Vortrag wurde dies an einem konkreten Bauteil gezeigt, bei dem im Werkzeug selbst ein Stanzvorgang abläuft um das Angusssystem der zweiten Kavität zu trennen. In Kooperation mit der Firma Bühler ist die Umsetzung solcher Werkzeugkonzepte für Giga-Druckgießanlagen geplant.
Die Firma SAG Innovation GmbH, vertreten durch Herrn M. Sc. Fabian Hofstätter, stellte das Thema „Rheocasting und Druckguss für den Leichtbau“ vor. Die Vorteile des Rheocasting, welches gegenüber dem Druckguss vorgelagerte Prozessschritte erfordert, liegen in der laminaren Strömung aufgrund thixotroper Eigenschaften. Anhand einer Auswahl an Bauteilen wurde gezeigt, dass sich mit dem Verfahren die Porosität gegenüber dem klassischen Druckguss verringern lässt. Ein weiterer Vorteil ist die geringere Temperatur einer Semi-Solid-Schmelze, was sich positiv auf Werkzeugstandzeiten, Wandstärkenverteilung und die Schrumpfung auswirkt.
Im Anschluss an die Kurzvorträge der Aussteller wurde während des Gießerabends im Gießereilabor der Hochschule Aalen die Möglichkeit zum intensiven persönlichen Austausch geboten. Zahlreiche Besucher aus der Gießerei- und Zulieferbranche nutzten die Möglichkeit, sich über aktuelle Themen auszutauschen.
Verbesserte Technik verschafft Einsparungspotenziale
Am Freitagvormittag begrüßte Prof. Dr.-Ing. Lothar Kallien das Auditorium zum zweiten Veranstaltungstag des Aalener Gießereikolloquiums. Dr. Achim Keidies vom BDGuss berichtete über die Aktivitäten des BDGuss im Bereich Druckguss. Die circa 70.000 Beschäftigten der Deutschen Gießereiindustrie erwirtschafteten im Geschäftsjahr 2022 rund 14 Mrd. Euro Umsatz, was einer Steigerung um 19 % gegenüber dem Vorjahr entspricht. Aus einer Kapazitätsauslastung von 85 % und einer Reichweite der Auftragsbestände von etwas mehr als fünf Monaten ergibt sich eine gute Auftragslage der bestehenden Gießereien.
Martin Lutz stellte in seinem Vortrag einerseits die Produkte der Wollin GmbH, insbesondere für Giga-Castings, und andererseits das Minimalmengensprühen (MMS) für den Druckguss vor. Der Leitsatz „Weniger ist mehr, noch weniger ist besser“ charakterisiert die Varianten des Wollin EcoSpray, durch welches der Trennmittelauftrag von mehr als einem Liter auf wenige Milliliter pro Gießzyklus verringert wird. Neben der verringerten Sprühnebelbelastung der Arbeitsumgebung der Mitarbeiter sind eine Reduzierung des durch den Trennmittelauftrag hervorgerufenen Abwasseraufkommens um 100 % sowie eine Verkürzung der Sprühzykluszeit und eine Verringerung der Temperaturdifferenz vor und nach dem Sprühvorgang zu nennen.
Bei der von Tommaso Botter (Mambretti Tech) vorgestellten GISS Technology (Gas Induced Superheated Slurry) werden unmittelbar vor dem Gießbeginn feinverteilte Keime in der Aluminiumschmelze erzeugt. Dies wird durch das Einbringen von Stickstoffgasblasen erreicht. Die Gießtemperatur des Superheated Slurry liegt deutlich unterhalb der konventionellen Gießtemperatur. Durch den erhöhten Festphasenanteil des Slurrys ergeben sich verbesserte Formfüll- und Nachspeisungsbedingungen, wodurch der Anteil von Gas- und Schwindungsporosität im Druckgussteil bereits bei geringem Nachdruck reduziert wird.
Dr.-Ing. Jochen Caster (Quaker Houghton Sales B.V.) zeigte Einsparungspotenziale bezüglich Energie, Rohstoffe und Kosten durch innovative Trennstofftechnik auf. Der wasserfreie Formtrennstoff Lubrolene ist in einem großen Temperaturbereich anwendbar und wird durch einen elektrostatischen Sprühprozess aufgetragen. Durch den elektrostatischen Wrap-around-Effekt wird bei einem Sprühdruck unter einem bar eine optimale Oberflächenbenetzung erreicht. Durch eine einzelne Düse wird auch bei einer komplexen Formgeometrie ein größerer Bereich abgedeckt als bei einer Düse im konventionellen Minimalmengensprühen. Besonders vorteilhaft ist dies bei Rippen und Seitenwandabschnitten.
Aktuelle Forschung und Entwicklung im Gießereilabor
Abschließend informierten die Mitarbeiter des Gießereilabors über den Stand aktueller Forschungs- und Entwicklungsthemen.
Christos Mangos stellte die Problematik des Wasserstoff-Eintrags bei der Beschichtung von Zinkdruckgussbauteilen dar. Während der Projektlaufzeit des Projektvorhabens ZiBe3 (AiF/IGF-Vorhaben-Nr. 22574 N/2) soll die Problemstellung tiefgründig analysiert und der Gieß- sowie Beschichtungsprozess entsprechend optimiert werden.
Max Schütze referierte über die Verwendung von mehrschichtig aufgebauten Sandkernen im Druckguss. Das durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt (DFG - 505145110) wird in Zusammenarbeit mit dem utg der TU München durchgeführt.
Daniel Schwarz stellte die Inhalte seines Promotionsvorhabens zur Herstellbarkeit von Hybridbauteilen aus CFK im Druckgießverfahren dar. Im Rahmen des Projekts InDimat (Innovative Fügeverfahren und beanspruchungsgerechte Designkonzepte für hybride Leichtbau CFK-Multimaterialverbunde; BMBF-FKZ: 03FH4I03IA) untersuchte Schwarz die Verbindungsfestigkeit von CFK im Aluminium- und Magnesiumdruckguss in Abhängigkeit von der Umgusswandstärke und Einlegeteilgeometrie sowie die Korrosionseigenschaften der Fügeverbindung. Derzeit wird eine Weiterentwicklung des Verfahrens mit umgossenen Holzstrukturen angestrebt.
Max Schütze informierte über das Projekt Indrutec-E (BMWi-FKZ: 03LB2004A), bei dem der Fokus auf Leichtbau, Legierungs- und Verfahrensentwicklung im Druckguss liegt. Der Vergleich mechanischer Kennwerte von Bauteilen, die in unterschiedlichen Druckgießverfahren mit Primär- und Sekundärlegierungen hergestellt wurden, stellt den Hauptbestandteil des Projekts dar.
Über die Entwicklung und Vorteile von faserverstärkten Magnesiumbauteilen im Druckguss (Magweb, ZIM-FKZ: ZF4113814DE8) berichtete Thomas Weidler. Durch die Verwendung unterschiedlicher Gewebe wurden die Dehngrenze und Bruchdehnung beeinflusst.
Christos Mangos stellte die Projektinhalte von Zynk-Guss (AiF/IGF-Vorhaben-Nr. 29100 N) zur Analyse des zyklischen Werkstoffverhaltens zur Beurteilung moderner Zink-Druckgusslegierungen für zyklisch hochbeanspruchte Bauteile dar. Im Rahmen des Projekts soll die Datengrundlage und ein Bemessungskonzept für zyklisch beanspruchte Bauteile ermittelt werden.
Florian Mäuser berichtete über den aktuellen Stand des durch die Europäische Union geförderten Fast Track to Innovation Projekts MAGIT (H2020-EIC-FTI-2018-2020, Grant Agreement Number: 950866). Durch die Gasinjektionstechnologie im Druckguss lassen sich Hohlstrukturen im Druckgießprozess zur Medienleitung und zur Umsetzung integrativen Leichtbaus herstellen. Die neu entwickelte Gasinjektor- und Gasinjektionsanlagentechnik ermöglicht einen Einsatz im industriellen Umfeld.
Das abschließende Mittagessen im Gießereilabor der Hochschule Aalen bot nochmals die Möglichkeit zum intensiven fachlichen Austausch zu den vorgestellten Vortragsthemen.