Dr. phil. Waltraud Ernst studierte Philosophie und Literaturwissenschaft an den Universitäten Tübingen, Bielefeld und Bordeaux und wurde 1996 im Fach Philosophie mit einer Arbeit zu epistemologischen Möglichkeiten einer feministischen Konzeption der Wissenschaften an der Universität Wien promoviert. Ihre wissenschaftliche Laufbahn begann Waltraud Ernst 2001 am Institut für Philosophie der Universität Wien, wo Sie „Erotische Ökonomien der Wissenschaften“ erforschte. 2004 erhielt sie ein Visiting Fellow- ship am renommierten Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien bevor sie als Leiterin des Zentrums für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (ZIF) an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) und der Universität Hildesheim wieder für sechs Jahre nach Deutschland ging. Seit 2010 ist sie am Institut für Frauen- und Geschlechterforschung der Johannes Kepler Universität Linz zuständig für Lehre und Forschung im Bereich Gender Studies in den Natur- und Technikwissenschaften GIESSEREI PRAXIS: Frau Dr. Ernst, die Johannes Keppler Universität Linz bietet den Studentinnen und Studenten über sechzig verschiedene Studiengänge an, mit dem Ziel insbesondere die Vielfalt für die Entwicklung in Technologie und Gesellschaft aktiv zu fördern. Die Themen Naturwissenschaft, Technik, Medizin, Pädagogik, Gesellschaft, Wirtschaft und Recht können und sollen dabei ausdrücklich von den Studierenden fachübergreifend kombiniert werden. Wie verbinden Sie dieses Konzept mit Ihrer Tätigkeit an der Johannes Kepler Universität ?
Dr. Waltraud Ernst : Meine Arbeit passt genau in diesen Ansatz : Ich unterrichte Gender Studies für Studierende aller Studiengänge der Technisch-NaturwisLinzsenschaftlichen Fakultät gemeinsam mit Studierenden der Kulturwissenschaften, die das Modul „Wissen und Technologie interdisziplinär“ gewählt haben. Interdisziplinäre Ansätze sind in den Natur- und Technikwissenschaften genauso gefragt wie in den Kulturwissenschaften. Schon im Studium wird so fachübergreifendes, problemorientiertes Denken gefördert. Es wird ein Verständnis und Sprechen miteinander eingeübt, das traditionelle Disziplingrenzen überwindet. Ich habe ja auch selbst einen transdisziplinären Ansatz : Ich habe Philosophie und Literaturwissenschaft studiert und meine Doktorarbeit zu feministischer Erkenntnis-und Wissenschaftstheorie geschrieben. Darin habe ich vor allem auch untersucht, wie in den Natur- und Technikwissenschaften Vorstellungen von Geschlechterverhältnissen entwickelt, tradiert und verändert werden. GIESSEREI PRAXIS: Die Verbindung von Technologie und Gesellschaft ist heute ein viel beachtetes und auch kontrovers diskutiertes Forschungsgebiet, was hat sich geändert ?
Dr. Waltraud Ernst : Forschungsprojekte und technische Entwicklungen werden zunehmend kooperativ und interdisziplinär erarbeitet, um diese gemeinsam in wissenschaftlich, technisch und sozial innovative Richtungen zu lenken. Ich habe an der Johannes Kepler Universität Linz speziell in zwei interdisziplinären Forschungs- und Entwicklungsprojekten mit Kolleg*innen aus den Ingenieurwissenschaften gearbeitet : Da ist zu nennen das Projekt „Bedienungsgerechte Maschinenentwicklung durch Expertise von Maschinenbediener*innen am Beispiel von Lasergravurmaschinen“, an welche bei der Werkzeug- und Teilefertigung der Industrie oder Medizintechnik höchste Qualitätsforderungen gestellt werden. Die Fragestellung war „Gibt es relevante Unterschiede, wenn Frauen und Männer dieselben Produktionsmaschinen bedienen ? Wenn ja, wie können und sollten diese bereits in die Entwicklung neuer Maschinen einfließen ? Das zweite Projekt „Rapid Prototyping in der Ergotherapie“ befasste sich mit der Entwicklung personalisierter Mundstäbe, hergestellt im 3D-Druck, für Menschen mit keiner oder eingeschränkter Hand-oder Armfunktion. Hier wurden Anwender*innen befragt und drei partizipative Workshops durchgeführt. Darauf aufbauend wurden mögliche Eigenschaften für die Form des Mundstücks, Materialien, sowie mögliche Parameter für das webbasierte User Interface zur Erstellung des Mundstabs ausgewählt. Diese praktischen, empirischen Forschungserfahrungen gebe ich an die Studierenden weiter. GIESSEREI PRAXIS: Technologie- und Informationsentwicklung als sozialer Prozess, Aspekte der Interaktion von Mensch und Maschine, der zunehmende Bezug zu nichtmenschlichen Aktoren, das sind Lehrinhalte der Vorlesung Gender & Diversity Studies, welche in Linz fest in den Ingenieurwissenschaften institutionalisiert ist. An der Technischen Universität in Dresden wurde im Sommersemester 2018 diese Vorlesung mit Ihnen als Gastprofessorin fakultativ erfolgreich und unter großem Interesse der Studentinnen und Studenten der Fakultäten Maschinenwesen, Elektrotechnik und Informationstechnik sowie Informatik durchgeführt. Welche Ideen verbindet aus Ihrer Sicht diese junge interessierte Generation mit dem Thema Technologie- und Informationsentwick GIESSEREI PRAXIS: Technologie- und Informationsentwicklung als sozialer Prozess, Aspekte der Interaktion von Mensch und Maschine, der zunehmende Bezug zu nichtmenschlichen Aktoren, das sind Lehrinhalte der Vorlesung Gender & Diversity Studies, welche in Linz fest in den Ingenieurwissenschaften institutionalisiert ist. An der Technischen Universität in Dresden wurde im Sommersemester 2018 diese Vorlesung mit Ihnen als Gastprofessorin fakultativ erfolgreich und unter großem Interesse der Studentinnen und Studenten der Fakultäten Maschinenwesen, Elektrotechnik und Informationstechnik sowie Informatik durchgeführt. Welche Ideen verbindet aus Ihrer Sicht diese junge interessierte Generation mit dem Thema Technologie- und Informationsentwicklung in Verbindung mit sozialen Prozessen ; was ist neu in diesen Studienbereichen ?Dr. Waltraud Ernst :Tatsächlich scheint es immer mehr junge Leute zu geben, die sich für die Verwobenheit von gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen interessieren. Sie wollen soziale Widersprüche und historische Veränderungen verstehen lernen, dazu gehören auch Geschlechterverhältnisse, Vielfalt der Lebensformen und Kulturen sowie die immer absurder auseinander driftenden Besitz- und Einkommensunterschiede : sogar zwischen gleichermaßen erwerbstätigen Menschen hier in Deutschland, genauso wie global betrachtet. Diese junge Generation bereist die ganze Welt und pflegt Freundschaften und Verwandtschaftsverhältnisse über weite Grenzen hinweg. Sie benutzen ganz selbstverständlich die neuesten Kommunikations- und Informationstechnologien. In bewegten Bildern, Sprachnachrichten, unmittelbaren Schriftübertragungen – auch in andere Sprachen übersetzt, können sie eine gefühlte Nähe herstellen wie nie zuvor. Sie interessieren sich dafür, woher die Rohstoffe für die Technik, die sie nutzen, kommen und wie diese Materialien gefördert und vermarket werden. Sie interessieren sich für die Arbeitsbedingungen der Frauen und Männer weltweit. Sie wollen eine Welt, in der alle gut leben können. Sie sind sehr selbstverständlich mit technischen Produkten verbunden und erleben Verbundenheit durch neue Technologien. Sie solidarisieren sich und tauschen sich weltweit aus. Dabei sind Maschinen selbstverständliche Kooperationspartner*innen. Das Ziel ist, die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine möglichst effektiv und benutzer*innenfreundlich zu gestalten. Deshalb werden in meinen Lehrveranstaltungen ethische und soziale Fragen z.B. der Digitalisierung und Industrie 4.0 weiterführend erörtert. GIESSEREI PRAXIS: Die Berücksichtigung der Vielfalt menschlicher Lebenslagen ist und wird zukünftig umso mehr tragendes Element im Entwicklungsprozess von digital vernetzten technischen Erzeugnissen. Wie sehen Sie das Verhältnis Mensch–Maschine in der Zukunft ?
Dr. Waltraud Ernst : Menschen sind vielfältig und entwickeln sich ständig weiter, sie lernen und verändern sich. Wir brauchen Maschinen, die da mitgehen können. Gegenwärtig werden Maschinen teilweise für eine sehr kurze Nutzungsspanne produziert. Das ist weder ressourcenschonend noch nachhaltig. Lernende Maschinen heißt eigentlich auch anpassungsfähige Maschinen für verschiedene sich verändernde Nutzungsbereiche und vielfältige Nutzer*innen. Bisher haben eher schematische Vorstellungen von Mensch und Maschine die Technologieentwicklung vorangetrieben. Da gilt es in Zukunft frühzeitig viel genauer hinzusehen und auch langfristige Zielsetzungen und Auswirkungen technologischer Entwicklung im Vorfeld zu erörtern und zu evaluieren. Wir müssen im Vorfeld in interdisziplinären Forschungsverbünden, Gremien und Konferenzen diskutieren : Wessen Interessen werden digitalisiert und materialisiert ? Wer wird in welcher Weise beteiligt oder ausgeschlossen ? Wer profitiert in welcher Weise ? Welche Rolle spielt Geschlecht und Diversität in den verschiedenen Bereichen ? Wie können an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine die Bedürfnisse möglichst vieler Menschen verantwortungsvoll berücksichtigt werden ? GIESSEREI PRAXIS: In vielen Prozessen der Gießereibetriebe übernehmen Roboter, also nichtmenschliche Aktoren, wichtige Arbeitsaufgaben nicht nur für Transport und Handling. So werden beispielsweise Kerne von Robotern exakt und sicher in die Formen eingelegt oder wie im Druckgussbereich wird das Handling mit Kontrollaufgaben verbunden. Die Arbeit dieser Roboter verläuft „tagesformunabhängig“, eine Eigenschaft über die Menschen nicht durchgängig verfügen. Andererseits verfügen Roboter auch mit hochentwickelter Sensortechnik nicht über die Eigenschaften des Tastens und des sich kontinuierlichen Näherns über die wir Menschen verfügen.
Dr. Waltraud Ernst :Maschinen sollten nicht so sehr überschätzt werden, auch nicht Roboter. Bisher können Algorithmen nur sehr vereinfachte Denk- und Handlungsprozesse abbilden oder modellieren. Wenn Menschen gut behandelt werden, materiell, sozial und emotional ausreichend Anerkennung erhalten, können sie über 40 Jahre sehr gute – und unter Umständen immer qualifiziertere – Arbeit leisten, können Bewusstsein über komplexe Zusammenhänge entwickeln, gemeinsam schwierige Probleme lösen, Neues erfinden, sich von Anstrengung erholen und tragfähige – unter Umständen lebenserhaltende – Beziehungen zu anderen Menschen und Maschinen aufbauen. Davon ist die Robotik sehr weit entfernt. Wir sollten gut überlegen, wofür wir Automaten entwickeln und einsetzen wollen. Bisher sind sie Menschen nur in der Rechenleistung überlegen, wenn es um große Zahlenmengen oder Geschwindigkeit geht. Sobald es um die Programmierung von Bedeutung, Sinn und Zuwendung geht, stoßen Automaten an ihre Grenzen. Wir sollten beispielsweise aufpassen, dass durch den Einsatz onlinebasierender Audio-Geräte, unsere Kommunikation im Privatbereich nicht zu simplifizierenden Befehlssätzen verkommt, die nicht selten an überkommene patriarchale Verhältnisse erinnert, nur weil das Gerät nie widerspricht, sondern gegebenenfalls lediglich Unverständnis preisgibt. GIESSEREI PRAXIS: Wie kann die Entwicklung zwischen Mensch und nichtmenschlichen Aktoren, insbesondere bei der Aufteilung der Arbeitsplätze und Arbeitsinhalte gesellschaftlich gesehen konfliktfrei gestaltet werden, ohne dass Menschen sich in ihren Fähigkeiten beeinträchtigt fühlen oder um Arbeitsplätze bangen ?
Dr. Waltraud Ernst : In der Altenpflege hat sich die Robotik inzwischen weitgehend von der Forschungsrichtung verabschiedet, die einen Ersatz von Altenpfleger*innen durch Roboter in Aussicht gestellt hat. Mittlerweile wurde erkannt, dass der Forschungsansatz, unterstützende Geräte und Produkte für ausgebildete Altenpfleger*innen anzustreben, weitaus wegweisender ist. Mir scheint, dasselbe sollte für die Debatten um Industrie 4.0 gelten. Die Entwicklung von Technik, auch von Rechenmaschinen, Robotern oder Automaten sollte Menschen am Arbeitsplatz nützen, dienlich sein. Sie sollte unterstützenden, nicht ersetzenden Charakter anstreben. Es gibt nichts wertvolleres als Menschen – auch wenn das manche „Exemplare“ immer wieder zu vergessen scheinen und Menschenrechte nicht für alle selbstverständlich sind. Maschinelle Produktion, auch Automatisierung und Digitalisierung macht meines Erachtens nur Sinn, wenn sie von Menschen entwickelt und genutzt wird, die ein Verständnis vom Gesamtzusammenhang mitbringen oder entwickeln können.Menschen sollten mit der Maschine arbeiten können und nicht in Konkurrenz zu ihr treten müssen. Unser Ziel muss Stressabbau am Arbeitsplatz sein und nicht kurzsichtige Rationalisierung und Profitmaximierung. Wem hilft es, wenn wir eine Welt gestalten, in der niemand mehr leben kann – oder will ? Wir brauchen Technologien, mit denen Menschen besser arbeiten können ; keine, die Menschen von gut bezahlten, sozialversicherten Arbeitsplätzen verdrängen. GIESSEREI PRAXIS: Also sind die derzeit oft gestellten Fragen hinsichtlich des Robotereinsatzes „Wer funktioniert besser“ und „Wer ist intelligenter“ anders zu formulieren : „Was ist vertrauenswürdig“ und „Wie können wir Verantwortlichkeiten zuweisen“ ?
Dr. Waltraud Ernst : Die Kosten der Instandhaltung sind hoch. Volkswirtschaftlich betrachtet, schneiden technische Geräte, inklusive Automaten und Roboter, insgesamt betrachtet, sehr viel schlechter ab als durchschnittliche Menschen, also wenn wir Entwicklungskosten bzw. Geburt, Erziehung und Bildung als auch Lebensdauer, „Arbeitsleistung“ und Verwesung bzw. Verschrottung insgesamt berechnen. Daher sollten wir viel mehr Forschungsgelder in die Erforschung eines friedlichen, wertschätzenden, für alle gewinnbringenden Miteinanders zwischen Menschen sowie zwischen Menschen und Maschinen investieren. Denn darauf kommt es letztlich an. GIESSEREI PRAXIS: Welches sind die häufigsten Fragen, die Ihnen von Studierenden der technischen Bereiche gestellt werden ?
Dr. Waltraud Ernst : Wofür sind Ingenieur*innen verantwortlich ? Für die Entwicklung von Technologien oder auch für ihre (Aus-)Wirkungen ? Bestimmen nur Marktmechanismen, was entwickelt wird oder besitzen auch ethische Werte Relevanz ? Arbeiten wir in Teams, die von Gleichberechtigung, Vielfalt und gegenseitigem Respekt geprägt sind, wirklich besser ? Das Gespräch mit Dr. Waltraud Ernst führte Simone Franke.
Kontakt per E-Mail unter:
Waltraud.Ernst@jku.at
Dr. Waltraud Ernst : Meine Arbeit passt genau in diesen Ansatz : Ich unterrichte Gender Studies für Studierende aller Studiengänge der Technisch-NaturwisLinzsenschaftlichen Fakultät gemeinsam mit Studierenden der Kulturwissenschaften, die das Modul „Wissen und Technologie interdisziplinär“ gewählt haben. Interdisziplinäre Ansätze sind in den Natur- und Technikwissenschaften genauso gefragt wie in den Kulturwissenschaften. Schon im Studium wird so fachübergreifendes, problemorientiertes Denken gefördert. Es wird ein Verständnis und Sprechen miteinander eingeübt, das traditionelle Disziplingrenzen überwindet. Ich habe ja auch selbst einen transdisziplinären Ansatz : Ich habe Philosophie und Literaturwissenschaft studiert und meine Doktorarbeit zu feministischer Erkenntnis-und Wissenschaftstheorie geschrieben. Darin habe ich vor allem auch untersucht, wie in den Natur- und Technikwissenschaften Vorstellungen von Geschlechterverhältnissen entwickelt, tradiert und verändert werden. GIESSEREI PRAXIS: Die Verbindung von Technologie und Gesellschaft ist heute ein viel beachtetes und auch kontrovers diskutiertes Forschungsgebiet, was hat sich geändert ?
Dr. Waltraud Ernst : Forschungsprojekte und technische Entwicklungen werden zunehmend kooperativ und interdisziplinär erarbeitet, um diese gemeinsam in wissenschaftlich, technisch und sozial innovative Richtungen zu lenken. Ich habe an der Johannes Kepler Universität Linz speziell in zwei interdisziplinären Forschungs- und Entwicklungsprojekten mit Kolleg*innen aus den Ingenieurwissenschaften gearbeitet : Da ist zu nennen das Projekt „Bedienungsgerechte Maschinenentwicklung durch Expertise von Maschinenbediener*innen am Beispiel von Lasergravurmaschinen“, an welche bei der Werkzeug- und Teilefertigung der Industrie oder Medizintechnik höchste Qualitätsforderungen gestellt werden. Die Fragestellung war „Gibt es relevante Unterschiede, wenn Frauen und Männer dieselben Produktionsmaschinen bedienen ? Wenn ja, wie können und sollten diese bereits in die Entwicklung neuer Maschinen einfließen ? Das zweite Projekt „Rapid Prototyping in der Ergotherapie“ befasste sich mit der Entwicklung personalisierter Mundstäbe, hergestellt im 3D-Druck, für Menschen mit keiner oder eingeschränkter Hand-oder Armfunktion. Hier wurden Anwender*innen befragt und drei partizipative Workshops durchgeführt. Darauf aufbauend wurden mögliche Eigenschaften für die Form des Mundstücks, Materialien, sowie mögliche Parameter für das webbasierte User Interface zur Erstellung des Mundstabs ausgewählt. Diese praktischen, empirischen Forschungserfahrungen gebe ich an die Studierenden weiter. GIESSEREI PRAXIS: Technologie- und Informationsentwicklung als sozialer Prozess, Aspekte der Interaktion von Mensch und Maschine, der zunehmende Bezug zu nichtmenschlichen Aktoren, das sind Lehrinhalte der Vorlesung Gender & Diversity Studies, welche in Linz fest in den Ingenieurwissenschaften institutionalisiert ist. An der Technischen Universität in Dresden wurde im Sommersemester 2018 diese Vorlesung mit Ihnen als Gastprofessorin fakultativ erfolgreich und unter großem Interesse der Studentinnen und Studenten der Fakultäten Maschinenwesen, Elektrotechnik und Informationstechnik sowie Informatik durchgeführt. Welche Ideen verbindet aus Ihrer Sicht diese junge interessierte Generation mit dem Thema Technologie- und Informationsentwick GIESSEREI PRAXIS: Technologie- und Informationsentwicklung als sozialer Prozess, Aspekte der Interaktion von Mensch und Maschine, der zunehmende Bezug zu nichtmenschlichen Aktoren, das sind Lehrinhalte der Vorlesung Gender & Diversity Studies, welche in Linz fest in den Ingenieurwissenschaften institutionalisiert ist. An der Technischen Universität in Dresden wurde im Sommersemester 2018 diese Vorlesung mit Ihnen als Gastprofessorin fakultativ erfolgreich und unter großem Interesse der Studentinnen und Studenten der Fakultäten Maschinenwesen, Elektrotechnik und Informationstechnik sowie Informatik durchgeführt. Welche Ideen verbindet aus Ihrer Sicht diese junge interessierte Generation mit dem Thema Technologie- und Informationsentwicklung in Verbindung mit sozialen Prozessen ; was ist neu in diesen Studienbereichen ?Dr. Waltraud Ernst :Tatsächlich scheint es immer mehr junge Leute zu geben, die sich für die Verwobenheit von gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen interessieren. Sie wollen soziale Widersprüche und historische Veränderungen verstehen lernen, dazu gehören auch Geschlechterverhältnisse, Vielfalt der Lebensformen und Kulturen sowie die immer absurder auseinander driftenden Besitz- und Einkommensunterschiede : sogar zwischen gleichermaßen erwerbstätigen Menschen hier in Deutschland, genauso wie global betrachtet. Diese junge Generation bereist die ganze Welt und pflegt Freundschaften und Verwandtschaftsverhältnisse über weite Grenzen hinweg. Sie benutzen ganz selbstverständlich die neuesten Kommunikations- und Informationstechnologien. In bewegten Bildern, Sprachnachrichten, unmittelbaren Schriftübertragungen – auch in andere Sprachen übersetzt, können sie eine gefühlte Nähe herstellen wie nie zuvor. Sie interessieren sich dafür, woher die Rohstoffe für die Technik, die sie nutzen, kommen und wie diese Materialien gefördert und vermarket werden. Sie interessieren sich für die Arbeitsbedingungen der Frauen und Männer weltweit. Sie wollen eine Welt, in der alle gut leben können. Sie sind sehr selbstverständlich mit technischen Produkten verbunden und erleben Verbundenheit durch neue Technologien. Sie solidarisieren sich und tauschen sich weltweit aus. Dabei sind Maschinen selbstverständliche Kooperationspartner*innen. Das Ziel ist, die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine möglichst effektiv und benutzer*innenfreundlich zu gestalten. Deshalb werden in meinen Lehrveranstaltungen ethische und soziale Fragen z.B. der Digitalisierung und Industrie 4.0 weiterführend erörtert. GIESSEREI PRAXIS: Die Berücksichtigung der Vielfalt menschlicher Lebenslagen ist und wird zukünftig umso mehr tragendes Element im Entwicklungsprozess von digital vernetzten technischen Erzeugnissen. Wie sehen Sie das Verhältnis Mensch–Maschine in der Zukunft ?
Dr. Waltraud Ernst : Menschen sind vielfältig und entwickeln sich ständig weiter, sie lernen und verändern sich. Wir brauchen Maschinen, die da mitgehen können. Gegenwärtig werden Maschinen teilweise für eine sehr kurze Nutzungsspanne produziert. Das ist weder ressourcenschonend noch nachhaltig. Lernende Maschinen heißt eigentlich auch anpassungsfähige Maschinen für verschiedene sich verändernde Nutzungsbereiche und vielfältige Nutzer*innen. Bisher haben eher schematische Vorstellungen von Mensch und Maschine die Technologieentwicklung vorangetrieben. Da gilt es in Zukunft frühzeitig viel genauer hinzusehen und auch langfristige Zielsetzungen und Auswirkungen technologischer Entwicklung im Vorfeld zu erörtern und zu evaluieren. Wir müssen im Vorfeld in interdisziplinären Forschungsverbünden, Gremien und Konferenzen diskutieren : Wessen Interessen werden digitalisiert und materialisiert ? Wer wird in welcher Weise beteiligt oder ausgeschlossen ? Wer profitiert in welcher Weise ? Welche Rolle spielt Geschlecht und Diversität in den verschiedenen Bereichen ? Wie können an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine die Bedürfnisse möglichst vieler Menschen verantwortungsvoll berücksichtigt werden ? GIESSEREI PRAXIS: In vielen Prozessen der Gießereibetriebe übernehmen Roboter, also nichtmenschliche Aktoren, wichtige Arbeitsaufgaben nicht nur für Transport und Handling. So werden beispielsweise Kerne von Robotern exakt und sicher in die Formen eingelegt oder wie im Druckgussbereich wird das Handling mit Kontrollaufgaben verbunden. Die Arbeit dieser Roboter verläuft „tagesformunabhängig“, eine Eigenschaft über die Menschen nicht durchgängig verfügen. Andererseits verfügen Roboter auch mit hochentwickelter Sensortechnik nicht über die Eigenschaften des Tastens und des sich kontinuierlichen Näherns über die wir Menschen verfügen.
Dr. Waltraud Ernst :Maschinen sollten nicht so sehr überschätzt werden, auch nicht Roboter. Bisher können Algorithmen nur sehr vereinfachte Denk- und Handlungsprozesse abbilden oder modellieren. Wenn Menschen gut behandelt werden, materiell, sozial und emotional ausreichend Anerkennung erhalten, können sie über 40 Jahre sehr gute – und unter Umständen immer qualifiziertere – Arbeit leisten, können Bewusstsein über komplexe Zusammenhänge entwickeln, gemeinsam schwierige Probleme lösen, Neues erfinden, sich von Anstrengung erholen und tragfähige – unter Umständen lebenserhaltende – Beziehungen zu anderen Menschen und Maschinen aufbauen. Davon ist die Robotik sehr weit entfernt. Wir sollten gut überlegen, wofür wir Automaten entwickeln und einsetzen wollen. Bisher sind sie Menschen nur in der Rechenleistung überlegen, wenn es um große Zahlenmengen oder Geschwindigkeit geht. Sobald es um die Programmierung von Bedeutung, Sinn und Zuwendung geht, stoßen Automaten an ihre Grenzen. Wir sollten beispielsweise aufpassen, dass durch den Einsatz onlinebasierender Audio-Geräte, unsere Kommunikation im Privatbereich nicht zu simplifizierenden Befehlssätzen verkommt, die nicht selten an überkommene patriarchale Verhältnisse erinnert, nur weil das Gerät nie widerspricht, sondern gegebenenfalls lediglich Unverständnis preisgibt. GIESSEREI PRAXIS: Wie kann die Entwicklung zwischen Mensch und nichtmenschlichen Aktoren, insbesondere bei der Aufteilung der Arbeitsplätze und Arbeitsinhalte gesellschaftlich gesehen konfliktfrei gestaltet werden, ohne dass Menschen sich in ihren Fähigkeiten beeinträchtigt fühlen oder um Arbeitsplätze bangen ?
Dr. Waltraud Ernst : In der Altenpflege hat sich die Robotik inzwischen weitgehend von der Forschungsrichtung verabschiedet, die einen Ersatz von Altenpfleger*innen durch Roboter in Aussicht gestellt hat. Mittlerweile wurde erkannt, dass der Forschungsansatz, unterstützende Geräte und Produkte für ausgebildete Altenpfleger*innen anzustreben, weitaus wegweisender ist. Mir scheint, dasselbe sollte für die Debatten um Industrie 4.0 gelten. Die Entwicklung von Technik, auch von Rechenmaschinen, Robotern oder Automaten sollte Menschen am Arbeitsplatz nützen, dienlich sein. Sie sollte unterstützenden, nicht ersetzenden Charakter anstreben. Es gibt nichts wertvolleres als Menschen – auch wenn das manche „Exemplare“ immer wieder zu vergessen scheinen und Menschenrechte nicht für alle selbstverständlich sind. Maschinelle Produktion, auch Automatisierung und Digitalisierung macht meines Erachtens nur Sinn, wenn sie von Menschen entwickelt und genutzt wird, die ein Verständnis vom Gesamtzusammenhang mitbringen oder entwickeln können.Menschen sollten mit der Maschine arbeiten können und nicht in Konkurrenz zu ihr treten müssen. Unser Ziel muss Stressabbau am Arbeitsplatz sein und nicht kurzsichtige Rationalisierung und Profitmaximierung. Wem hilft es, wenn wir eine Welt gestalten, in der niemand mehr leben kann – oder will ? Wir brauchen Technologien, mit denen Menschen besser arbeiten können ; keine, die Menschen von gut bezahlten, sozialversicherten Arbeitsplätzen verdrängen. GIESSEREI PRAXIS: Also sind die derzeit oft gestellten Fragen hinsichtlich des Robotereinsatzes „Wer funktioniert besser“ und „Wer ist intelligenter“ anders zu formulieren : „Was ist vertrauenswürdig“ und „Wie können wir Verantwortlichkeiten zuweisen“ ?
Dr. Waltraud Ernst : Die Kosten der Instandhaltung sind hoch. Volkswirtschaftlich betrachtet, schneiden technische Geräte, inklusive Automaten und Roboter, insgesamt betrachtet, sehr viel schlechter ab als durchschnittliche Menschen, also wenn wir Entwicklungskosten bzw. Geburt, Erziehung und Bildung als auch Lebensdauer, „Arbeitsleistung“ und Verwesung bzw. Verschrottung insgesamt berechnen. Daher sollten wir viel mehr Forschungsgelder in die Erforschung eines friedlichen, wertschätzenden, für alle gewinnbringenden Miteinanders zwischen Menschen sowie zwischen Menschen und Maschinen investieren. Denn darauf kommt es letztlich an. GIESSEREI PRAXIS: Welches sind die häufigsten Fragen, die Ihnen von Studierenden der technischen Bereiche gestellt werden ?
Dr. Waltraud Ernst : Wofür sind Ingenieur*innen verantwortlich ? Für die Entwicklung von Technologien oder auch für ihre (Aus-)Wirkungen ? Bestimmen nur Marktmechanismen, was entwickelt wird oder besitzen auch ethische Werte Relevanz ? Arbeiten wir in Teams, die von Gleichberechtigung, Vielfalt und gegenseitigem Respekt geprägt sind, wirklich besser ? Das Gespräch mit Dr. Waltraud Ernst führte Simone Franke.
Kontakt per E-Mail unter:
Waltraud.Ernst@jku.at
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