Zwerge in der Großstadt

Künstlerischer, origineller Bronzeguss in Wroclaw

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Zwerge kommen seit Jahrhunderten in Geschichten und Legenden vor.

Meistens werden sie als kleine, menschenähnliche Wesen mit einem ausgeprägten Handwerksgeschick, oder als Bergleute oder Schmiede dargestellt, die in den Tiefen der Erde arbeiten und über erstaunliche Fähigkeiten verfügen. In der Regel handelt es sich um freundliche und hilfsbereite Wesen, die den Menschen bei Bedarf zur Seite stehen. Dort, wo sich die Wichte niederlassen, sind Ordnung und Wohlstand nicht weit.

Im polnischen Wrocław (Breslau), der Hauptstadt der Woiwodschaft Dolny Śląsk (Niederschlesien), bevölkern Zwerge seit vielen Jahren die Stadt. Inzwischen soll ihre Schar über 600 Wichte zählen, genau weiß es niemand. Sie spielen Mandoline, schlecken Eis, lehnen aus dem Fenster und halten einen Schwatz, imitieren die Freiheitsstatue, klettern die Fassade hoch, lümmeln herum oder stemmen eine Kugel.

Die ersten von ihnen tauchten im Sommer 2001 als Projekt von Studenten der Kunsthochschule auf. Im Jahr 2004 wurde dann der Künstler Tomasz Moczek beauftragt, zwölf Zwerge zu fertigen. Die kniehohen Figuren werden aus Bronze gegossen, der Guss erfolgt in einer auf Gussmodelle spezialisierten Werkstatt und wird mit hochwertigen Legierungen ausgeführt. 

Jeder Zwerg hat eine einzigartige Persönlichkeit

Die meisten Zwerge von Wrocław sind echte Altstadtbewohner, die sich in den verschiedensten Winkeln der niederschlesischen Hauptstadt verstecken. Manche von ihnen hat es aber auch in die Umgebung von Breslau gezogen, beispielsweise den Zwerg Robcio. Robcio hat den Trubel der Stadt verlassen und Ruhe und Frieden an einem türkisfarbenen Stausee gefunden, wo er jeden Tag – stolz mit einem Karpfen in den Händen – bezaubernde Sonnenuntergänge genießt. 

Tabuś und Assik hingegen sind ein Zwergenpaar, das seinen Weg nach Biskupice in der Nähe von Wrocław in die LG-Fabrik gefunden hat. Sie helfen an der Linie, die LCD-Module herstellt. Offiziell sagt das niemand, aber man munkelt, dass es ihrer harten Arbeit zu verdanken ist, dass der Umsatz des Unternehmens deutlich gestiegen ist. Vielleicht wird einer von ihnen bald zum Chef der Nachtschicht befördert.

Einer der mutigsten aller Zwerge ist Uziomek. Fasziniert von der ewigen Kraft des Blitzes, hat er es sich zur Aufgabe gemacht, alle Menschen vor den Auswirkungen des Blitzes zu schützen. Wie es sich für einen Profi gehört, hat Uziomek den Sitz der Firma Elko-Bis Blitzschutzsysteme als sein Zuhause gewählt.

Reiselustige Zwerge

Manche der Bronzegnome hat es in die große weite Welt hinaus gezogen. Seit dem 5. Februar 2015 befindet sich am Dresdner Hietzigbrunnen ein bronzener Breslauer Zwerg, der das Wappen der beiden Städte in den Händen hält, die Städtepartnerschaft zwischen Dresden und Wrocław darstellend. Und zum 60. Geburtstag der Städtepartnerschaft erhielt die sächsische Metropole einen original Breslauer Zwerg mit Sonnenblume und Reisekoffer. An seinem neuen Dresdner Zuhause, der Treppe zum Ratskeller am Haupteingang des Neuen Rathauses, wirkt der Zwerg nun als Botschafter und Glücksbringer für die nächsten 60 Jahre der Partnerschaft und heißt alle Besucherinnen und Besucher aus Breslau und ganz Polen herzlich willkommen.

Mehr als eine Touristenattraktion. Viel mehr.

Breslau hat den Bronzegnomen eine Menge zu verdanken: Sie waren ursprünglich Symbolfiguren der politischen Oppositionsbewegung „Orange Alternative“, die sich in den 1980er Jahren friedlich für ein demokratisches Polen einsetzte. Es war die Zeit, als die Behörden die freie Gewerkschaft Solidarnosc ausradieren wollten.

Tausende Bürger beteiligten sich damals an humorvollen Aktionen, demonstrierten unter Parolen wie "Nieder mit der Hitze!" oder „Für Freiheit und Zwerge!“, sangen vor dem Schimpansengehege im Zoo Stalin-Hymnen und stellten in der Altstadt "Papa Zwerg" auf, einen gusseisernen Gnom. Zu den Happenings kamen sie mit orangefarbenen Zwergenmützen auf dem Kopf und hielten Zwergentransparente in den Händen. In Allianz mit der breiteren Solidarnosc-Bewegung gipfelte die „Orange Alternative“ 1988 in einer spontanen Versammlung von zehntausend Menschen, die mit orangefarbenen Zwergenhüten durch Breslau zogen, um sich gegen das realsozialistische Regime aufzulehnen.

Initiator dieser Bewegung war der Kunststudent Waldemar Fydrych. Seine Idee zum friedlichen Zwergenaufstand gegen das kommunistische Regime bekam er durch die Kabouter-Bewegung. Die niederländische Protestbewegung war zwischen 1969 und 1974 durch ihre teilweise surrealistische Aktionen bekannt geworden, mit denen sie sich gegen Wegwerfmentalität und Umweltverschmutzung richteten. Die Kabouters (Kabouter ist das niederländische Wort für Kobold oder Heinzelmännchen) pflanzten beispielsweise Tannenbäume auf Kreisverkehrsplätzen, um die Abgase der Autos mit Sauerstoff zu kompensieren, fuhren während der Rushhour morgens mit Transporträdern durch die Stadt oder machten mit spektakulären Hausbesetzungen auf Leerstand und Wohnungsnot aufmerksam. 

Allerdings lagen die Dinge in Polen dann doch etwas anders. Denn während sich die Kabouter in durch Subkultur geprägtem politischem Aktivismus übten, ging es in Polen um Widerstand gegen große staatliche Repressionen. 

Die Zwerge symbolisierten die Macht der Machtlosen.

Ihren Ursprung kann man verstehen, wenn man weiß, dass in der kommunistischen Gigantomanie kolossale Gebäude und Statuen von heldenhaften Soldaten und muskulösen Arbeitern dazu dienten, zu beeindrucken, Angst einzuflößen und Erfolge zu präsentieren.

David gegen Goliath

Große Repressionen erfordern kleine Maßnahmen. Das ist fast ein Naturgesetz. Und so wiederholt sich die Geschichte.

In letzter Zeit werden Moskau und St. Petersburg vermehrt von Zwergen bevölkert. Denn nachdem Putin als eine seiner ersten Amtshandlungen als Jelzin-Nachfolger jegliche Satire verboten hatte, die ihn betraf, stellte er die Opposition kalt, dann entmündigte er die Fernseh- und Radiosender, dann die Justiz, die NGOs, die Presse. Dann wurde das Demonstrieren gefährlich. So gefährlich, dass Menschen verhaftet werden, die nur ein kleines, weißes, vollständig leeres Transparent entrollen.

Für die Demonstranten in XXS-Größe gibt es viel zu tun. 

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